Unterricht in Multi-Kulti-Klassen `Mehr Respekt, ....

Der Tagesspiegel - 18.11.2013

Jungen aus Ehrenkulturen fällt es manchmal schwer, Lehrerinnen als Autorität anzuerkennen. Ein Seminar des Projekts "Heroes" soll den Pädagoginnen helfen.

Von einer Frau lasse ich mir bestimmt nichts sagen. Dieser Satz ist so mancher Lehrerin bekannt. Vor ihnen sitzen Jungen, die eine weibliche Autoritätsperson aus Prinzip nicht akzeptieren und Mädchen, die an Ausflügen nicht teilnehmen dürfen, aus Angst, ihre Reinheit zu verlieren oder die Ehre ihrer Familie zu beschmutzen. Wie sie mit den unterschiedlichen Werten im Klassenzimmer umgehen sollen, überfordert viele Pädagogen. Ein Seminar soll ihnen helfen, Unsicherheiten zu verlieren.

Angeboten werden die Workshops im Rahmen des Projekts Heroes, das der Verein Strohhalm 2007 in Berlin gegründet hat. In erster Linie dient es dazu, dass junge Männer aus dem arabischen Raum und der Türkei lernen, gegen die Unterdrückung im Namen der Ehre und für die Gleichberechtigung von Mann und Frau einzustehen. Der Psychologe Ahmad Mansour und der Theaterpädagoge Yilmaz Atmaca coachen darüber hinaus aber auch Sozialarbeiter und Pädagogen. Von der Kreuzberger Ferdinand-Freiligrath-Schule nahm kürzlich das gesamte Kollegium an ihrem Seminar teil.

In Rollenspielen üben die Lehrerinnen und Lehrer, wie sie in provokanten Situationen selbstbewusst auftreten und den richtigen Ton finden. Dafür müssten sie die Jugendlichen aus sogenannten Ehrenkulturen aber zunächst verstehen. Viele von ihnen sind laut Ahmad Mansour in patriarchalischen Familien- und Gesellschaftsstrukturen aufgewachsen. „Das bedeutet, dass der Mann die Regeln aufstellt und die Frau gehorchen muss. Handelt sie nicht nach seinen Werten, kleidet sie sich zu freizügig oder hat Sex vor der Ehe, verliert die Familie ihr Ansehen und ist gesellschaftlich ruiniert“, erklärt er. Eine Frau, die in der Schule plötzlich Forderungen an die Jungen stelle, passe jedoch nicht in dieses Bild hinein – und so erzählt Ahmad Mansour zum Beispiel von einer Lehrerin aus seinem Seminar, die schwanger und unverheiratet gewesen sei. Ihr Kind bezeichneten die Schüler als Bastard.

„Ein Verhalten dieser Art basiert allerdings auf Unsicherheit“, sagt Yilmaz Atmaca. Beschönigen möchte er solche Beleidigungen nicht. Er möchte aber darauf hinweisen, dass die Jugendlichen in einem Korsett aus Tabus, Gehorsam und Bestrafung aufgewachsen sind. Ohne Raum für eigene Meinungen und ein starkes Selbstbewusstsein. „Deswegen benehmen sich die Jungen oft wie Machos oder spielen die Ehren-, Nazi-, oder Diskriminierungskarte aus.“

Um sich auf dieses Spiel nicht einzulassen, sollten Lehrerinnen auf Sätze wie „das kannst du mit deiner Mutter machen, aber nicht mit mir“ oder „wir leben hier nicht in der Türkei“ verzichten. Mit solchen Vergleichen würden sie die Familie und Kultur des Schülers abwerten. Stattdessen sollten Pädagogen auf Augenhöhe mit den Schülern sprechen, aber Grenzen aufzeigen. Nicht die Werte einer anderen Kultur angreifen, aber die Werte der Schule selbstsicher vertreten. Und sie sollten Fragen stellen wie zum Beispiel: Warum lässt du dir von mir nichts sagen? Welchen Stellenwert haben Frauen deiner Meinung nach? Was ist an respektlosem Verhalten ehrenhaft? Dabei würden die Schüler schließlich beginnen, kritisch über ihre Worte und Vorstellungen nachzudenken.

Für die Integrationsbeauftragte Monika Lüke ist eine solche Diskussion sehr wichtig. „Lehrer sind neben dem Elternhaus nämlich die prägendsten Wertevermittler“, sagt sie. Und eine Projektionsfläche der Gesellschaft, wie Ahmad Mansour ergänzt. Bei Kritik würden sich die Jugendlichen im Klassenzimmer ebenso fremd und abgelehnt fühlen wie in anderen Situationen ihres Alltags. Doch statt die Konfrontation deswegen zu meiden, sollten Lehrer das Gespräch suchen. „Wir sind quasi am Anfang einer zweiten Aufklärung“, sagt Hildburg Kagerer, Rektorin der Ferdinand-Freiligrath-Schule. Auf das Heroes-Projekt ist sie 2012 aufmerksam geworden, als der Berliner Rabbiner Daniel Alter den Bambi-Integrationspreis an Ahmad Mansour weitergegeben hatte. Zudem liegt der Ausländeranteil an ihrer Schule bei rund 80 Prozent.

Weil ein solch kultureller Mix in Berlin nicht selten ist, muss sich das System Schule laut der Vorsitzenden der Gewerkschaft GEW Berlin, Sigrid Baumgardt, weiterentwickeln. „Heute stehen Pädagogen vor ganz anderen Herausforderungen. Das Problem mit Jungen, die Frauen über sich in der Hierarchie nicht akzeptieren, ist nur ein Beispiel.“ Mittlerweile ist das Thema Interkulturalität ein fester Bestandteil des Referendariats. Im Alltag sieht die GEW-Vorsitzende aber nach wie vor junge Lehrkräfte, die wenig über die verschiedenen Herkünfte ihrer Schüler wissen – und dadurch überfordert sind.

 

 

Für Erwachsene: Fortbildungen 

 

Heroes bietet auch eine Fortbildung an für Lehrer/-innen, Pädagogen/-innen, Sozialarbeiter/-innen, migrantische Sozialarbeiter/-innen, Polizei, Jugendamt, Familienhilfe, Einzelfallhilfe, Ausbildungsstätten, Universitäts-Lehrkräfte, Mitarbeiter/-innen aus Fach-Unis und Studierende.

 

Innerhalb der Fortbildung versuchen wir mit Ihnen folgende Themen zu bearbeiten:

 

  • Was ist eigentlich Ehre? Welche gesellschaftlichen und sozialen Strukturen, Erziehungsmethoden und  psychologische Aspekte können zu Unterdrückung im Namen der Ehre führen?
  • Die Methoden von Heroes bei der Arbeit mit Jugendlichen zum Thema Unterdrückung im Namen der Ehre werden ausführlicher dargestellt.
  • Die Rolle der Identität in der Gesellschaft
  • Umgang mit Diskriminierungserfahrungen 
  • Sexismus, Geschlechterrollen in Ehrenkulturen, Patriarchalismus, Machtverhältnisse, Konzepte von Männlichkeit und Weiblichkeit
  • Wir beschäftigen uns mit Fragen wie: Wie erzeugen Lehrer/-innen oder Sozialarbeiter/-innen aus Nicht-Ehrenkulturen Autorität/Respekt in der Arbeit mit Jugendlichen aus Ehrenkulturen? Ein spannendes Thema insbesondere als weibliche Lehrkraft!! 
  • Oder: Wie können Lehrkräfte auf unangebrachte Witze der Jugendlichen reagieren? 
  • Unsere Fortbildung ist praxisorientiert und interaktiv. Wir orientierten uns an den Fällen und Problematiken, welche die Teilnehmer im Alltag beschäftigen und versuchen anhand von Diskussionen lösungsorientierte Ansätze anzubieten.

 

Die Fortbildung wird von den HEROES-Gruppenleitern Yilmaz Atmaca und Ahmad Mansour durchgeführt.

 

Ahmad Mansour ist Diplom-Psychologe, geboren 1976 kommt aus Palästina und lebt seit 8 Jahren in Deutschland. An der Universität in Tel- Aviv studierte er Psychologie, Soziologie und Philosophie und führte sein Studium im Fach klinische Psychologie an der Humboldt Universität zu Berlin fort. Neben seiner Tätigkeit als Gruppenleiter bei Heroes arbeitet Herr Mansour als wissenschaftlicher Mitarbeiter in dem Projekt „ASTIU“ (Auseinandersitzung mit Islamismus und Ultranationalismus).  Außerdem ist Ahmad Mansour Mitglied der Arbeitsgruppe „Präventionsarbeit mit Jugendlichen“ der Deutschen Islam Konferenz und berät die European Foundation for Democracy in den Themen Integration, Radikalisierung, Antisemitismus und Erziehungsmethoden in muslimischen Familien.

 

Yilmaz Atmaca, geboren 1970 in der Türkei, absolvierte seine Schauspielausbildung in der Türkei und kam 1994 nach Deutschland, um hier weiter zu studieren. 1999 absolvierte er sein Studium der Spiel-und Theaterpädagogik an der UdK Berlin. Er arbeitete in der Türkei und in Deutschland an zahlreichen Theatern, Projekten und Filmen als Schauspieler, Regisseur sowie als Theaterpädagoge. Zwischen 2005 und 2007 moderierte er auf dem regionalen Berliner Sender TD1 eine TV-Sendung, mit der er die Probleme der türkischen Gesellschaft in Deutschland thematisierte. Seit 2007 ist er in dem Projekt „Heroes“ als Gruppenleiter tätig.
Zwischen 2009 und 2014 war er in der Jugendhilfestation-Neukölln der Diakonie als Familienhelfer unterwegs. Inzwischen macht er eine Ausbildung zum Familientherapeuten und hat sich mit dem Erwerb eines Cafés mit Bühne einen Lebenstraum verwirklicht.

 

Ansprechpartner bei Fragen zu unserem Fortbildungsangebot : 
Herr Ahmad Mansour: 017660898087
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